Kognitive Dissonanz und Selbsttäuschung – warum du weißt, dass es nicht gut ist, aber trotzdem bleibst
- Mariangela Carta
- 9. Apr.
- 8 Min. Lesezeit
"Ich weiß, dass es nicht gut für mich ist – aber ich mache es trotzdem.“
Diesen Satz höre ich in meiner Praxis immer wieder.
Von Frauen, die in einer Beziehung bleiben, obwohl sie innerlich längst gegangen sind.
Von Männern, die jeden Tag zur Arbeit gehen und sich gleichzeitig leer und bedeutungslos fühlen.
Von Menschen, die wissen, dass etwas nicht stimmt – aber sich täglich davon überzeugen, dass alles doch irgendwie okay ist.
Was sie da erleben, hat einen Namen: Kognitive Dissonanz.
Ein innerer Alarm, der dann losgeht, wenn dein Denken, dein Fühlen und dein Handeln nicht mehr zusammenpassen.
Und weil dieser Alarm so unangenehm ist, lernen wir früh, ihn zu übertönen.
Mit Ausreden.
Mit Selbstlügen.
Mit einem inneren Theaterstück, das uns sagt: „So schlimm ist es doch gar nicht.“
Und genau darum geht’s in diesem Blogartikel:
Was kognitive Dissonanz wirklich ist, wie du dich täglich selbst belügst – und was es mit echter Selbstverantwortung zu tun hat, endlich ehrlich mit dir zu werden.
Was ist kognitive Dissonanz?
Und warum ist diese Selbsttäuschung so unangenehm?
Der Begriff stammt aus der Psychologie (Leon Festinger, 1957) und beschreibt einen unangenehmen Spannungszustand, der entsteht, wenn zwei Kognitionen – also Gedanken, Einstellungen oder Überzeugungen – nicht miteinander vereinbar sind.
Ein klassisches Beispiel:
Du hältst dich für gesundheitsbewusst, greifst aber regelmäßig zur Zigarette.
➡️ Deine Überzeugung: „Gesundheit ist mir wichtig.“
➡️ Dein Verhalten: „Ich rauche.“
Ergebnis: Innere Spannung. Diese Spannung nennt man kognitive Dissonanz.
Unser Gehirn liebt Konsistenz – es will, dass alles zusammenpasst.
Und wenn es das nicht tut, sucht es nach Wegen, die Dissonanz aufzulösen.
Aber Achtung: Nicht immer durch Veränderung.
Sondern häufig durch Selbsttäuschung.
Wie entsteht Selbsttäuschung?
Wenn du innerlich spürst, dass etwas nicht stimmt – du aber trotzdem nicht handelst – entsteht ein Konflikt zwischen deiner Wahrheit und deinem Verhalten.
Und genau hier beginnt oft eine kognitive Dissonanz-Selbsttäuschung: Du weißt etwas, handelst aber entgegengesetzt – und redest dir dein Verhalten schön, um die innere Spannung zu ertragen.
Beispiele für typische Selbsttäuschungen
„Ich weiß, dass er mich respektlos behandelt – aber er hatte eine schwere Kindheit.“
„Ich liebe meinen Job zwar nicht, aber Sicherheit ist wichtiger.“
„Ich bin halt nicht so emotional – das hat noch nie jemand von mir erwartet.“
Übersetzt heißt das:
Du willst den Schmerz nicht fühlen, also erklärst du ihn weg.
Kognitive Dissonanz und Selbsttäuschung – ist das nicht das Gleiche?
Oft wird beides in einem Atemzug genannt – aber es ist nicht dasselbe.
Kognitive Dissonanz ist der unangenehme innere Spannungszustand, der entsteht, wenn Denken, Fühlen und Handeln nicht übereinstimmen.
Selbsttäuschung ist das, was wir daraus machen, um diese Spannung wieder loszuwerden.
Beispiel
Du weißt, dass du in deiner Beziehung unglücklich bist – aber du bleibst.
Diese Dissonanz ist schmerzhaft.
Also sagst du dir: „Es ist nicht so schlimm. Ich bin halt zu sensibel.“
Genau das ist Selbsttäuschung.
Oder kurz gesagt:
Kognitive Dissonanz ist der Schmerz. Selbsttäuschung ist das Pflaster.
Und je öfter wir dieses Pflaster benutzen, desto mehr verlieren wir den Kontakt zu dem, was wirklich wahr ist.
Und jetzt kommt der Teil, den viele lieber überspringen würden
Du lügst nicht, weil du dumm bist.
Du lügst dich an, weil du feige geworden bist.
Weil du Angst hast vor der Leere nach der Wahrheit.
Weil du denkst, dass du es nicht schaffst, wenn du ehrlich bist.
Weil du glaubst, dass du es nicht wert bist, etwas Besseres zu leben.
Und genau deshalb wirst du weiter in der Beziehung bleiben, die dich krank macht.
Du wirst weiter „funktionieren“, obwohl du innerlich zusammenbrichst.
Du wirst weiter nett sein – obwohl du in Wahrheit schreien willst.
Ich weiß, wovon ich spreche.
Nicht nur als Therapeutin. Sondern als Mensch.
Auch ich habe schon Beziehungen geführt, in denen ich innerlich längst nicht mehr da war.
Ich habe Sätze gesagt wie:
„So schlimm ist es doch gar nicht.“
„Es hat ja auch gute Seiten.“
„Vielleicht bin einfach ich zu empfindlich.“
Aber tief in mir wusste ich: Das ist Selbstverrat.
Ich bin geblieben, obwohl mein Körper längst andere Signale gesendet hat.
Ich habe harmonisiert, geflickt, erklärt – weil ich Angst hatte vor der Konsequenz, ehrlich zu sein.
Eine Beispiel aus meinem Leben
Da war diese eine Beziehung.
Nach außen hin stabil.
Wir wirkten wie ein gutes Team.
Ich war verständnisvoll, tolerant – und ich habe lange geglaubt, das sei Liebe.
Dass Liebe bedeutet, Kompromisse zu machen. Geduld zu haben.
Dass es egoistisch sei, etwas zu hinterfragen, nur weil es sich nicht mehr gut anfühlt.
Was ich nicht gesehen habe - dass ich mich selbst systematisch klein gemacht habe. - dass ich aufgehört habe, meine Bedürfnisse zu spüren. - dass ich irgendwann nicht mal mehr wusste, was genau mir eigentlich fehlt.
Und dann kam dieser Moment. Ein Gespräch mit einer Freundin. Sie sagte nur einen Satz:
„Du redest mehr über das, was fehlt, als über das, was da ist.“
Ich habe gelächelt, genickt – und bin später im Auto in Tränen ausgebrochen, weil ich wusste, sie hat recht. Weil ich gemerkt habe, wie sehr ich mich selbst überredet habe. Weil ich verstanden habe: Ich bleibe nicht aus Liebe. Ich bleibe aus Angst.
Warum ich dir das erzähle?
Weil ich will, dass du weißt, Du bist nicht allein. Du bist nicht „zu schwach“, wenn du bleibst. Du bist nicht „zu doof“, wenn du dir was schönredest.
Aber du bist auch nicht frei, solange du dich selbst belügst.
Und dann kam Nina – eine Geschichte aus meiner Praxis
Nina (Name geändert) kam zu mir in die Praxis.Mitte 30, äußerlich souverän, innerlich erschöpft.Seit sechs Jahren in einer Beziehung, keine Gewalt, kein Betrug – aber auch keine Nähe mehr.
„Er ist kein schlechter Mensch“, sagte sie. „Aber irgendwas fehlt. Schon lange.“
Ich fragte sie: „Kannst du dir ein Leben ohne ihn vorstellen?“
Sie zögerte – und sagte dann leise:
„Manchmal hoffe ich, er würde mich verlassen. Dann müsste ich die Entscheidung nicht treffen.“
Genau das ist kognitive Dissonanz. Das ist Selbsttäuschung auf ganz hohem Niveau. Nina wusste längst, dass die Beziehung nicht mehr nährt. Aber sie erzählte sich Geschichten:
Dass es ja auch gute Tage gibt.
Dass sie nicht zu anspruchsvoll sein darf.
Dass man nicht alles haben kann.
In Wahrheit hatte sie einfach Angst. Vor Schuldgefühlen. Vor Veränderung. Vor dem, was passiert, wenn sie sich eingesteht, dass sie jahrelang funktioniert hat – aber nicht gelebt.
Warum kognitive Dissonanz bzw. Selbsttäuschung dich krank machen kann
Die ständige Spannung zwischen Ich will und Ich tue trotzdem nicht führt zu:
Erschöpfung
Schlafproblemen
Konzentrationsstörungen
Innerer Unruhe
Depressionen
Selbstwertproblemen
Und irgendwann verlierst du nicht nur dein Gleichgewicht –du verlierst dich selbst.
Was hat das mit Selbstverantwortung zu tun?
Alles.
Denn der erste Schritt in die Selbstverantwortung ist nicht die Veränderung –sondern das Eingeständnis, dass du dir selbst etwas vorgemacht hast.
Selbstverantwortung bedeutet:
Ehrlich hinzusehen.
Den Schmerz der eigenen Lügen auszuhalten.
Und dann eine neue Entscheidung zu treffen – bewusst, nicht aus Angst.
Das ist radikal. Das ist unbequem. Ergo das ist der einzige Weg raus aus deinem inneren Dauerstress. 3 Praxisimpulse für mehr Klarheit
1. Dissonanz-Tagebuch
Schreib dir abends drei Situationen auf, in denen du „nicht ganz ehrlich“ warst – mit dir oder anderen.Frage dich:
Was habe ich wirklich gefühlt?
Was habe ich gesagt oder getan?
Warum habe ich es nicht anders gemacht?
2. Der radikale Gedankentest
Setz dich hin und schreibe ungefiltert:
„Ich weiß, dass ich mich selbst belüge, wenn ich…“
Mach daraus mindestens 5 Sätze.
Lies sie dir laut vor.
Und dann atme.
Nicht bewerten.
Nur wahrnehmen.
3. Wenn du mutig bist: Tu das Gegenteil
Wenn du merkst: „Ich sage wieder Ja, obwohl ich Nein meine“ –sag dieses eine Mal Nein. Beobachte, was passiert. Nicht im Außen – sondern in dir.
Reflexionsfragen zum konkreten Doing
Was weißt du längst – aber tust so, als wüsstest du es nicht?
Welche Lüge erzählst du dir selbst, damit du nicht fühlen musst?
Wer wärst du ohne deine Angst vor der Wahrheit?
Wie du mit den Reflexionsfragen arbeiten kannst
Diese Fragen sind kein Test, den du „bestehen“ musst.
Sie sind eine Einladung – an dich.
Zum Innehalten.
Zum Spüren.
Zum Ehrlichsein – auch wenn es manchmal unbequem ist.
Du brauchst dafür keine perfekte Antwort.
Kein großes Drama.
Kein Stundenjournal.
Schenk dir einfach 10 Minuten Zeit mit dir selbst.
Setz dich hin, am besten mit einem Notizbuch. Atme kurz durch.
Lies die Frage.
Und schreib, was kommt – ohne Zensur, ohne „richtig oder falsch“.
Vielleicht kommen sofort Antworten. Vielleicht nur ein Kloß im Hals.
Beides hat seine Berechtigung. Beides zeigt: Da bewegt sich etwas.
Denn genau darum geht es: Nicht alles sofort zu lösen –sondern ehrlich zu erkennen, was in dir gerade lebt.
Und wenn du willst: Lies dir deine Antworten nach ein paar Tagen nochmal durch.
Du wirst überrascht sein, was sich zeigt, wenn du dir wirklich zuhörst.
🔗 Lies auch
Wenn du tiefer in das Thema Selbstverantwortung eintauchen willst, empfehle ich dir meinen Blogartikel aus der KW14 über Lebenskrisen und den Mut zur Eigenverantwortung.
Und falls du spürst, dass vor allem in deiner Beziehung viele Gedanken und Gefühle nicht zusammenpassen, dann findest du hier weitere Impulse: 👉 Kognitive Dissonanz in Partnerschaften – Teil 1 👉 Kognitive Dissonanz in Partnerschaften – Teil 2
📍In der nächsten Woche erfährst du in meinem Artikel zur Osterwoche:
Wie kognitive Dissonanz im Gehirn wirklich funktioniert – und warum dein Verstand dich manchmal lieber belügt, als ehrlich zu sein.
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Schlusswort – für dich
Du bist nicht schwach, wenn du dich belügst.
Du bist ein Mensch.
Aber du bist auch mehr als das.
Du bist jemand, der es wagen kann, sich selbst wieder zu vertrauen.
Und wenn du merkst: „Ich möchte da nicht mehr alleine durch“ –dann bin ich da.
Du kannst mir jederzeit eine Nachricht schreiben, wenn du etwas Ähnliches erlebt hast – auch wenn du es nicht öffentlich kommentieren möchtest.
Manchmal hilft es, die eigenen Gedanken einfach mal auszusprechen.
Oder hinterlass mir gerne einen Kommentar unter diesem Blogartikel, wenn dich etwas besonders berührt hat. Ich lese jede Zeile. Und antworte auf jeden Kommentar.
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Hast du das Gefühl, dass du bereit bist, hinzuschauen, aber weißt nicht genau, wie du anfangen sollst? Diese Mischung aus kognitiver Dissonanz und Selbsttäuschung kann dich langfristig erschöpfen – aber sie muss nicht bleiben. Du darfst dich entscheiden, ehrlich mit dir zu werden.
Ich begleite dich gern auf diesem Weg – in deinem Tempo, auf deine Art.
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